Tag 297-320 | Todos Santos, Baja California Sur, Mexico

Tag 297-320 | Todos Santos, Baja California Sur, Mexico

Wir fuhren also nach Todos Santos. Der Südeingang zum Dorf war mit großen Hügeln Erde blockiert also mussten wir zum Nordeingang. Bruno hätte es bestimmt drüber geschafft, aber wir wollten keinen Ärger und die kleine Ruby hatte schon genug Action im Sand.

Wir wussten, dass es nicht einfach werden würde ins Dorf zu kommen, welches von Anwohnern abgeschottet wurde. Wir kamen dann im Norden am Eingang des Dorfes zur Absperrung, besetzt mit Freiwilligen. Diese Barrikade nennt sich „Filter“ und verstößt genau genommen gegen mexikanisches Recht, aber wen interessiert das schon. Wir hatten uns die spanischen Worte für „mieten“, „Haus“ und „leben“ parat gelegt und sagten dem Herrn der uns anhielt, dass wir im Viertel San Vincente ein Haus gemietet haben und seit Wochen und Monaten in der Gegend sind. Er wies uns an das Auto rechts ran zu fahren und ging zu den anderen Freiwilligen um unsere „Einreise“ zu diskutieren. Zum Glück kannte irgendjemand Bruno und wir bekamen fieses Desinfektionsmittel in die Hände gesprüht und ein Go zur Weiterfahrt.
Bei Willow und Lee liefs leider nicht so rund, komischerweise kannte niemand ihr Auto, obwohl sie noch länger in Todos Santos waren. Wir entschieden das ganze dann einfach auszusitzen und die Einfahrt des „Filters“ zu blockieren, bis wir weiter konnten. 5 Minuten später rollten wir gemeinsam durch Todos Santos. Eine Geisterstadt. Erschreckend leer. Wir fuhren auf direktem Weg zu unserem Haus und trafen unsere Vermieterin, die trotz unserer Verspätung noch voll im Putzwahn war. Witzigerweise kannten wir sie und ihre Kinder schon, weil sie die Initiatorin des Schildkröten-Projekts ist. Das Haus war spartanisch, aber praktisch eingerichtet, für deutsche Verhältnisse spotgünstig, Bruno hatte einen Stellplatz auf dem Grundstück und wir hatten einen tollen Balkon mit Meerblick. Wir kannten die Nachbarschaft auch schon ein bisschen, weil Tobias, bei dem wir gestrichen hatten und der uns die ersten Surfstunden gab, eine Straße weiter wohnt. Wir entschieden uns dazu, erst einmal für einen Monat zu mieten und dann weiter zu schauen.

Währenddessen hatte draußen jemand unsere Autos fotografiert und auf Facebook den „Filter“ für schlechtgemachte Arbeit angeprangert. Eh wir reagieren konnten, war der Eintrag wieder gelöscht, aber einige Leute waren schon in die Breche gesprungen und hatten uns verteidigt. Beruhigend zu wissen.
Willow und Lee hatten Freunde ein paar Häuser weiter und zogen zu denen in den Vorgarten. Sie warteten noch auf ein Paket, was eigentlich schon längst da sein sollte und wollten dann Richtung Norden zur amerikanischen Grenze weiter. Deren Ziel ist Alaska.
Wir zogen also erst mal aus Bruno aus und ins Haus ein. Ich putzte alles ein zweites Mal, da sauber definitiv anders war als das was wir da vorfanden.
Die ersten Nächte schliefen wir furchtbar schlecht. Uns fehlte Bruno und die Hunde in den Straßen kläfften wie blöde. Dazu kam die nicht gerade leise Hühnerfarm auf der anderen Straßenseite. Puh.
Nach einer Woche hatten wir dann langsam einen Rhythmus entwickelt, uns an die Geräusche des Dorfes gewöhnt und konnten den neugewonnen Wohnraum durchaus schätzen. Morgens frühstückten wir ausgiebig, genossen die Gesellschaft der Katzen auf dem Balkon, dann lernten wir spanisch, arbeiten an der App und ordneten so einige Dokumente und Unterlagen auf unseren PCs. Mit der Aussicht auf gutes WLAN gab ich mich dann auch mal an die Neuordnung und Sortierung aller bisher gemachten Fotos. Mit beiden Kameras, GoPro und den Handys waren wir bei knapp 15000 Fotos und hunderten Videos. Nach einer Woche war ich fertig und ganze 109 GB mussten nun über das WLAN ihren Weg in unseren Cloudspeicher finden. Das WLAN machte schlapp und mein PC brauchte geschlagene 2 Wochen und zusätzliches Internet über einen Datentarif um fertig zu werden. Aber hey, wir hatten ja die Zeit.

Immerhin konnten wir dank WLAN nochmal mit einigen unserer Liebsten ausführlich telefonieren und uns up-to-date bringen.

Die nächsten Tage erkundeten wir gemeinsam mit Willow und Lee die Nachbarschaft und kamen in den Genuss von frischgebrautem, aber ziemlich teurem Craftbeer und Fischfilets für umgerechnet ein Euro pro Stück.

Abends verbrachten wir dann in der ersten Woche oft bei Familie Thompson, wo Willow und Lee untergekommen waren und schauten über den Beamer Filme. Aus ihrem Plan schnell weiter Richtung Norden zu fahren, wurde dann nämlich gar nix. Aimee, ihre Katze, war von drei Hunden gejagt und verletzt worden. Es ging zur veterinären Notfallklinik nach La Paz und schnell war klar, dass ihr Vorderbein gebrochen war. Sie humpelte dann mit riesigem Verband durch die Gegend und war ziemlich unglücklich über ihren Zustand. Eine Woche später wurde die Kleine operiert und ihr Knochen mit einer Metallplatte verstärkt. Am Tag der OP zogen Willow und Lee dann mit bei uns ein. Sie hatten entschieden, dass sie zwei Woche zur Ruhe kommen und Aimee eine Auszeit gönnen wollten. Im Erdgeschoss gibt es noch ein kleines Hüttchen mit Nasszelle und so freuen wir uns über Nachbarschaft.

Das ist ziemlich cool, denn schnell entwickelte sich der große Tisch und die Außenküche im hinteren Teil des Grundstücks zum Dreh- und Angelpunkt unseres „WG-Lebens“. Trotzdem haben wir alle noch genug Raum uns zurück zu ziehen und so werkeln wir die meisten Tage an unserem eigenen Zeug rum und treffen uns zum Abendessen.
Viele Abende kam uns Familie Thompson besuchen und wir veranstalteten weiter Filme und Spiele-Abende.
An Willows Geburtstag kochten wir alle gemeinsam. Die zwei machten verschiedenste Indische Currys, Hanno und ich steuerten selbstgebackenes Naan-Brot bei und Familie Thompson brachte Kichererbsensalat und Cuscus mit. Hanno mixte den ganzen Abend Cocktails und die waren sogar echt lecker.
Und dann gabs unsere leere Piñata und noch ein bisschen mehr Alkohol. Es ging ziemlich spät ins Bett und der nächste Tag startete erst Mittags aber ohne Kater. Ein kleines schelchtes Gewissen bleibt, ob wir da nicht zu 8 eine feine Corona-Party veranstaltet hatten. Hm…

Dann wurden die Maßnahmen deutlich verschärft in Mexiko und man durfte nur noch alleine Autofahren oder auf der Straße sein. Nur noch der Gang zum Supermarkt, der Apotheke, dem Arzt oder der Arbeit war erlaubt.

Wir verbrachten dann ganze zwei Wochen nur auf dem Grundstück und machten das Beste draus. Gestern waren wir dann mal im Dorf. Bruno wollte nach 3 Wochen Standzeit bewegt werden. Also ging es zur Wäscherei, zur Bank und zur Brauerei, die glücklicherweise noch Bier verkaufte. Gefühlt sah man mehr Menschen und Autos auf der Straße als bei unserer „Einreise“ vor drei Wochen. Nicht ganz nachvollziehbar. Wir hatten ein schlechtes Gewissen beim rumlaufen und fühlten uns wie Verbrecher. Scheinbar waren wir mit dem Gefühl aber alleine. 36 Stunden Zelle, 3 Tage Sozialstunden im Corona-Krankenhaus oder umgerechnet 800 € Strafe droht bei Regelverstoß. Nicht ganz so spaßig.

Mit Willow und Lee verstehen wir uns hervorragend und meistens sitzen wir Abends zusammen, tauschen uns aus und erzählen vom Leben. Selbstverständlich immer mit Bier. Unser Konsum ist definitiv deutlich gestiegen, seit wir sesshaft geworden sind. Mies, dass die Brauereien in Mexico nicht mehr arbeiten und nix mehr verkaufen dürfen, da kein essenzielles systemerhaltenes Business. Der Schwarzmarkt blüht und die Preise steigen.
Wir vier haben einen ziemlich ähnliche Einstellung zum Leben und interessanterweise ziemlich ähnliche Storys auf Lager. Wer hätte das gedacht, die zwei haben sich auch im Vollsuff kennengelernt. 😀
Unsere Meinungen über das, was hier gerade los ist, ist ziemlich identisch und es ist sehr angenehm zu erfahren, dass es noch Menschen gibt, die nicht total abdrehen und Verschwörungstheorien glauben schenken und sie verbreiten. Im Dorf und im Travelerumfeld ist das durchaus der Fall und wir stellen beim lesen der örtlichen Facebookgruppe fest, dass ziemlich viele Menschen hier (übrigens über die Hälfte Amis) ein ziemlich verqueres Bild haben. Der mexikanische Präsident hat glücklicherweise endlich auch den Ernst der Lage begriffen. Die Leute in Todos Santos leider weniger. Sie feiern und treffen sich und machen weiter wie bisher. Läden haben zwar geschlossen, aber dafür blüht das Privatleben gerade auf. Die Leute sind der Meinung, dass Corona nicht im Dorf ist und die Filter das verhindern. Eigentlich alle hier pendeln regelmäßig in die Corona-Hochburgen Cabo und La Paz. Es scheint einen unsichtbaren Vorhang zu geben der den Virus am Ortseingang eliminiert…
Tja, seit gestern gibt es nun den ersten bestätigten Fall in Todos Santos. Wir sind gespannt, ob und was das nun ändert. Wir vier haben unsere Mieten verlängert und warten gespannt darauf, ob die Maßnahmen, wie angekündigt, am 31. Mai gelockert werden.

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