Tag 73-83 | Nördliches Vancouver Island: Naka Creek, Telegraph Cove, Port McNeill, Nimpkish Lake, Georgie Lake, Cape Scott, Raft Cove und Port Hardy, B.C., Kanada
Die Menschen im Süden von Vancouver Island sprechen schlecht über die Leute im Norden und andersrum ist es genau so. In Campbell River haben wir die imaginär gezogene Grenze überschritten und merkten schnell, dass im Norden die wilde Natur die Oberhand behält. Kaum Orte, keine Städte, viel unberührter Wald. Gefühlt alle hier leben vom Holz. Bäume pflanzen, wachsen lassen, fällen, abtransportieren, verkaufen, Boden neu mit Nährstoffen versorgen und von vorne…
Für uns entwickelte sich die Nordinsel zu einem riesengroßen Spielplatz. Was in Stella Lake begonnen hatte ging hier nahtlos weiter. Gravelroads, über Stock und Stein, Allradfahren, Wildcampen, keine Menschenseele sehen.
Unser erster Stop war, nach 2 Stunden Waldweg (zum Glück ohne Begegnung mit einem der riesigen Holz-LKWs (Logging-Trucks: 4m breit, bis zu 40 Tonnen schwer)), riesigen Schlaglöchern, auf die Straße abgerutschten Hängen, fiesen spitzen Felsen und Steigungen/Gefällen jenseits der 20%: Naka Creek!
Und hiermit mache ich es offiziell: Naka Creek ist der schönste Platz an dem wir bisher „gewohnt“ haben. Einfach perfekt. Aus angepeilten zwei Nächten wurden vier und der Abschied fiel schwer. Wir standen direkt am Strand, hörten die Wellen rauschen, ließen die Tage ungeplant verstreichen. Ich saß Stunden im Campingstuhl und schaute aufs Meer. Hanno turnte auf dem Treibholz am Strand rum oder machte ein Nickerchen im Hängesitz. Wir hatten beide total vergessen wie das „Nichts-tun“ geht. Jetzt wissen wir es wieder! Abends standen wir im dunkeln am Strand und das angetriebene Plankton begann zu leuchten, wenig später hörten wir irgendwo in der Bucht Orcas. Es ist so unglaublich beeindruckend nur das Ausatmen der Orcas zu hören. Es lässt dich sofort ahnen, wie groß diese Tiere sind. Ein magischer Moment. Es kribbelt jetzt schon wieder und mein Herz hüpft, während ich diese Zeilen schreibe. Die Nacht war sternenklar und nach dem Plankton und den Walen funkelten die Sterne um die Wette.
Am nächsten Tag kamen erst Seehunde in die Bucht, dann Delfine und im Nachmittag dann sogar noch die Orcas. So nah! So intensiv! Dieses Mal konnten wir sie nicht nur hören sondern auch sehen und sie beim jagen beobachten. Wie gefesselt standen wir am Strand. Das Essen auf dem Herd und das Lagerfeuer waren plötzlich Nebensache.
Am letzten Tag ging Hanno dann sogar noch im Pazifik schnorcheln, gute 2 Minuten, danach konnte ich meinem Eisklotz-Mann nur noch das Handtuch reichen und schauen, dass er irgendwie wieder auftaut. Meine Dusche nahm ich lieber im Fluss im Wald, vermutlich nicht viel wärmer aber immerhin Süßwasser. Wir entdeckten noch einen fantastischen Wasserfall und streiften durchs Dickicht. Immer laut singend, denn vor den Bären haben wir dann doch gehörig Respekt.
Als wir der Naka Creek dann Tschüss sagten, war ich richtig traurig, aber unsere Futtervorräte gingen zur Neige und wir wissen von unseren Reisen, dass wir uns bei Hunger gehörig auf den Zeiger gehen können. Also lieber weiter.
Wir stoppten in Telegraph Cove (ein groß angepriesener Ort) und merkten schnell, dass da was nicht stimmt. Jedes Haus, jeder Stein gehört ein und derselben amerikanischen Firma, jeder „Anwohner“ ist ein Angestellter genau dieser Ltd.. Das ganze ist nur noch ne Touri-Atrappe. Ich kam mir fast vor wie im Fantasialand in dem Teil wo die Westernstadt aufgebaut ist… Nach nem kurzen Spaziergang über die Stege und ner Portion echt nicht guter Fish & Chips gings weiter bis nach Port McNeill einkaufen.
Wir schliefen am Nimpkish Lake an dem früher Holz abgebaut wurde und eine Holzfällersiedlung stand. Die Überreste liegen überall im und um den See verteilt. Wir fanden echt interessante Sachen. Teile einer Bahnstrecke im See und alte Maschinen und Fahrzeuge. Seltsam, dass die das einfach alles da lassen. Wir trafen einen verrückten Kanadier, der Trucker ist und am See nach den Spuren seines Großvaters und Vaters suchte. Der Kerl war gut ausgestattet mit alten Fotos, viel Bier, einer Box mit schlechter Musik und jede Menge Geschichten.
Am nächsten Tag wollten wir gerne nach Alert Bay. Das mussten wir aber um nen Tag verschieben, weil die Fähre Gefahrgut transportierte und wir nicht mitdurften. Also gabs nen Internet/Wasch/Dusch/Akkulade/Chill-Tag auf dem Campingplatz um die Ecke.
Am nächsten Tag gings ganz früh dann zur Fähre und rüber. Bruno nahmen wir ausnahmsweise nicht mit und Alert Bay erkundeten wir zu Fuß.
Als erstes gings ins First Nation Museum, welches echt richtig, richtig gut war. Überall in Canada kommt man mit den First Nations in Kontakt und wir haben uns oft gefragt, ob es wirklich alles so „Friede, Freude, Eierkuchen“ war als die Weißen das Land besiedelten. Wir nahmen uns richtig viel Zeit, sahen Dokus, lasen Schriftstücke und schauten uns die Masken für die Potlatch-Zeremonien an. Wir lernten super viel und waren echt beeindruckt was alles an Geschichte dahinter steckt und das wir sie hier im Museum so nah und ungefiltert erleben konnten. Die First Nations auf Alert Bay scheinen viel Mitspracherecht zu haben und leben mit den heutigen Nachkommen der Siedler sehr gut zusammen, aber wir wissen mittlerweile auch, dass das ein Einzelfall ist und viele Fist Nations im Land benachteiligt wurden oder heute noch werden. Es gibt verrückte Storys wie die kanadische Regierung bis in die 70er versucht hatte die Anzahl der Menschen die sich First Nations nennen z.B. durch Heiratsgesetze (heiratest du einen Weißen bist du kein Indianer mehr usw.) zu reduzieren. Außerdem wurden die Kinder der First Nations in „Internate“ gesteckt um ihnen ihr „Indianersein“ auszutreiben. Die Eingangstür vom Internat (zweites Bild in der Fotogallerie) zeigt die Einstellung der Weißen sehr deutlich. Hier trafen wir auch unseren Truckerfreund vom Nimpkish Lake wieder, der voller Begeisterung wieder zu erzählen begann.
Danach wanderten wir über die Insel an unzähligen Totempfählen vorbei und auf den kleinen Hügel zum „Unfall“ der ansässigen Fischindustrie. Auf dem Hügel entspringt eine natürliche Süßwasserquelle, deren Wasser die Industrie gerne zum reinigen genutzt hätte. Sie kamen auf die Idee Bäume zu fällen und das Wasser zu stauen und erzeugten so eine Sumpflandschaft in der die restlichen Bäume abstarben, das Wasser umkippte und nicht mehr zu gebrauchen war. Doof gelaufen würde ich sagen…
Dann gings mit Bruno weiter Richtung Norden. Die nächsten 4 Tage regnete es ununterbrochen. Trotzdem zogen wir unser Program durch und wanderten am Cape Scott und am Raft Cove und fuhren unendliche Kilometer auf Gravelroads im Nirgendwo. Wir wanderten im Regenwald (ja, er machte seinem Namen alle Ehren) und spielten „Wer zu erst in ne Pfütze fällt hat verloren (ich hab verloren…), liefen am Strand entlang, schauten den tosenden Wellen zu und kehrten immer wieder für heiße Schokolade und Heizung zu Bruno zurück. Wir schliefen unter jahrhunderte alten Baumkronen und waren menschenseelenallein. Die Wanderwege in Kanada sind teilweise echt krass, die Beschriftung „difficult“ ist ernst zu nehmen und solche Wege wären in Deutschland unmöglich. Hier wird nicht vom größtdümmsten Nutzer ausgegangen, sondern man wandert auf eigene Gefahr und wenn man sich das Bein bricht hat man halt Pech gehabt oder war nicht erfahren/sportlich genug. Dem entsprechend wandert man hier auch schonmal auf allen vieren oder die Senkrechte hoch, watet durch Tümpel oder lässt sich mit einem Seil in eine kleine Schlucht ab. Super spannend, super anstrengend und man wird garantiert auch super dreckig. Meine geliebte gelbe Regenjacke hat gelitten!
Mit nem Haufen nasser Klamotten und einer tollen Begegnung mit einem jungen Schwarzbär auf dem Weg zurück, kehrten wir dann auf einen bezahlten Campingplatz in Port Hardy ein. Der war leider nach all den tollen (kostenlosen) Orten etwas abgerockt und viel zu teuer. Naja, nur für ne Nacht, nur für unsere Akkus. Den Tag über hingen wir in Port Hardy rum. Ganz schönes Kaff und echt auch ein paar komische Menschen liefen da rum. Abends gings zum Fährterminal, wo wir ne kurze, laute Nacht verbrachten bevor es auf die Fähre Richtung Prince Rupert ging.